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Oliver Neusser
Faktencheck – Innenministerium Baden-Württemberg Cannabis Statement
In Fortsetzung zum letzten Beitrag, der eine Antwort des Innenministeriums Baden-Württemberg auf eine Anfrage bezüglich Cannabis Forderungen in einer Beschlussvorlage zur 224. Innenministerkonferenz thematisierte, folgt nun der Faktencheck.
Ich gehe auf die relevantesten Behauptungen in deren Cannabis Statement ein, was weit über die angefragten Themen als allgemeine Abrechnung mit dem Cannabisgesetz (CanG) hinaus genutzt wurde.
Das Innenministerium Baden-Württemberg unterstützte in der letzten Innenministerkonferenz, wie aus einer Protokollnotiz zum Beschluss zu TOP 76 hervorgeht, zusammen mit dem Bundesinnenministerium als einziges Landesinnenministerium die Forderung nach einer vollständigen Aufhebung der Entkriminalisierung bzw. (Teil-) Legalisierung von Cannabis in Deutschland, folglich fordern sie die Rekriminalisierung von Millionen Bürger und Bürgerinnen aus allen Bereichen der Gesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
Behauptung 1: Eindämmung des Schwarzmarktes sei bislang nicht erkennbar
Die erste relevante Behauptung auf die ich eingehen möchte, leugnet bisherige in Zahlen belegbare Erfolge bei der Eindämmung des Schwarzmarktes durch legale Versorgungsmöglichkeiten wie Eigenanbau oder Medizinalcannabis. Vorweg muss man festhalten, es gibt bisher keine Nachweise über einen Anstieg des Konsums im Zuge der Entkriminalisierung nach dem Cannabisgesetz. Sowohl Abwassermonitoring als auch wissenschaftliche Befragungen ergaben keine Belege für einen seit CanG Inkrafttreten steigenden gesamtgesellschaftlichen Konsum.
Zugleich belegt die Entwicklung bei Medizinalcannabis eindrucksvoll in Zahlen, wie groß der Anteil der legalen Versorgung alleine über Cannabis als Medizin mittlerweile ist. Nach Zahlen des EKOCAN Forschungsprojekts zur Cannabisgesetz Evaluation liegt der Gesamtverbrauch von Cannabis in Deutschland bei rund 600-800 Tonnen jährlich. Die EKOCAN Forscher nehmen hier eine größere Gesamtverbrauchsmenge an als bisherige wissenschaftliche Arbeiten zum Thema. So veranschlagte Prof. Haucap 2018 in der vom DHV beauftragten Studie zu den fiskalischen Auswirkungen einer Cannabislegalisierung in Deutschland eine Gesamtmenge von ~400 Tonnen.
Aktuellen Zahlen nach liegt alleine die Importmenge von Medizinalcannabis bei ~190 Tonnen in 2025. Zu dieser beträchtlichen Menge kommen noch die seit CanG Inkrafttreten nicht mehr meldepflichtigen national angebauten Erzeugnisse sowie die Mengen aus Anbauvereinigungen und Eigenanbau.
Die Behauptung, eine Eindämmung des Schwarzmarktes sei bislang nicht erkennbar, deckt sich somit absolut nicht mit der vorliegenden Faktenlage.
Warum das Innenministerium Baden-Württemberg hier also eine solche Fehleinschätzung vertritt, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.
Allein der Umstand, dass die Polizei im Ländle weiterhin mit Cannabis Handelsdelikten von klein bis groß im Dienst zu tun hat, kann es wohl nicht allen Ernstes sein? Eine solch manipulative Darstellung der Situation ist erschreckend und skandalös. Wird in anderen Fachthemen auch so verfahren?
Behauptung 2: Grundgedanke der Cannabislegalisierung ziele darauf ab, Probleme vom Schwarzmarkt in die Psychiatrien zu verlagern
„Schon der Grundgedanke der Cannabislegalisierung zielt damit darauf ab, Probleme vom Schwarzmarkt in die Psychiatrien zu verlagern“, schrieb das Innenministerium Baden-Württemberg in ihrer Antwort.
Mit einem solchen Schwachsinn von Behauptung disqualifiziert man sich endgültig und vielmehr stellt sich die Frage, ist das wirklich die Position des Innenministeriums Baden-Württemberg zum Cannabisgesetz?
Cannabis birgt Risiken, insbesondere für Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, da die Hirnreife erst mit dem 25. Lebensjahr abgeschlossen ist. Allgemein wurde das in der Debatte um Cannabis von Fürsprechern einer Legalisierung nie geleugnet.
Vielmehr stellt sich die Frage, wie damit richtig umzugehen ist und dabei stand ein Ziel stets an oberster Stelle: Harm Reduction!
Da von psychiatrisch relevanten Auffälligkeiten im Zuge zu Cannabis die Rede war, muss darauf hingewiesen werden, dass insbesondere im Schwarzmarkt die Gesundheitsrisiken allgemein wie auch spezifisch zu Risiken für die psychische Gesundheit erhöht sind. Grund sind seit Jahren zunehmende Verunreinigungen mit synthetischen Cannabinoiden auf dem Schwarzmarkt, die ein höheres Risikopotenzial bergen als natürliches Cannabis. Dazu kommen die konventionellen Streckmittel primär zur Gewichtserhöhung, darunter Brix (Kunststoffmix-Spray), Haarspray, Dünger, Sand, mineralische Dünger, Zuckerwasser …
Doch von synthetischen Cannabinoiden ist kein Wort im Statement des baden-württembergischen Innenministeriums.
Ein weiteres Problem am Schwarzmarkt, das vom Innenministerium in der Antwort ignoriert wird, ist die fehlende Auswahl und Kenntnis über THC-Gehalte. Es gibt tausende Sorten von Cannabis, darunter Sorten mit reduziertem THC-Gehalt in verschiedensten Ausprägungen bis hin zu quasi rauschfreien Varianten. Ein freier legaler Markt ermöglicht eine für die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Versorgung auch abseits von THC-Schwergewichten.
Ganz frei von Risiken wird Cannabis generell nie sein, auch nicht in einem legalen Markt. Doch immerhin kann über erwirtschaftete Steuern ein größerer finanzieller Anteil an der med. Behandlung und Versorgung von gesundheitlichen oder gesellschaftlichen Folgeproblemen mitgetragen werden, anders als bei am Fiskus vorbei gehandeltem Cannabis auf dem Schwarzmarkt. Verglichen zur legalen Droge Alkohol als reines Zellgift, ist Cannabis mit zusätzlich anerkannten medizinischem Potenzial ohne zytotoxische Wirkung auf ein ganz anderes, für den Körper unschädlicheres Niveau einzuordnen. Ohne dabei Risiken für die psychische Gesundheit in Abrede stellen zu wollen …
Behauptung 3: Cannabis-Konsumierende hätten eine höhere Schulabbruchrate, eine geringere Beteiligung an universitärer Ausbildung und weniger akademische Abschlüsse
Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Cannabiskonsum Einfluss auf die Bildung haben kann. Wie eine Meta-Analyse aus über 60 Studien zum Thema in 2024 ergab, gibt es einen beobachteten Zusammenhang. Dieser stützt sich jedoch rein auf die Ist-Beobachtung, nicht noch zusätzlich auf die soziologischen Umstände, weshalb eine genauere Einordnung schwierig ist.
Dabei muss festgehalten werden, dass der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen in den Jahren vor der Entkriminalisierung bereits anstieg und im internationalen Vergleich stärker als beispielsweise in den Niederlanden ausgeprägt war. Im Zuge der Entkriminalisierung durch das CanG Inkrafttreten konnte keine Zunahme des Konsums bei Minderjährigen in direkter Folge beobachtet werden. Vielmehr geht der Konsum zurück, womit sich ein nach Jahren des Anstiegs eingesetzter Konsumrückgang seit 2019 weiter fortsetzt.
Bei einer Evaluation zu Cannabisgesetz Auswirkungen muss natürlich auch der Umstand von Negativeinflüssen auf die Bildung von Konsumierenden berücksichtigt werden. Dabei erschließt sich mir jedoch nicht, wie eine Rekriminalisierung hier positiv wirken könnte. Zumal die Freigabe stets den mündigen Bürger ab 18 Jahren adressierte.
Behauptung 4 - Legalisierung würde ein ein enormes Verkehrssicherheitsproblem schaffen
Die Legalisierung würde ein enormes Verkehrssicherheitsproblem schaffen, was der Vision Zero als erklärtes Ziel im Straßenverkehr entgegenstünde. Aktuelle Verkehrsunfallstatistiken weisen trotz der Erhöhung des THC-Grenzwerts im Straßenverkehr von 1ng/ml auf 3,5ng/ml Blutserum keinen flächendeckenden Anstieg der Unfälle unter dem Einfluss von Cannabis auf. Insgesamt mag es zwar mancherorts erhöhte Feststellungen gegeben haben, dies jedoch bei insgesamt weniger Verkehrstoten 2024 gegenüber dem Vorjahr.
Insofern ist die Behauptung fragwürdig und nicht klar belegt. Diese Sorge teilt man sich jedoch unter den Landesministern, weshalb der Bundesrat im November hierzu einem Entschließungsantrag zustimmte.
Behauptung 5 - die aktuelle Rechtslage erschwere die Bekämpfung der Kriminalität um Cannabis
Seit den ersten Debatten um eine mögliche Freigabe kam aus Sicherheitskreisen stets der Einwand, dass eine Entkriminalisierung bzw. (Teil-) Legalisierung die Arbeit der Polizei nicht nur entlasten, sondern in der Praxis auch erschweren würde. Insofern ist die Kritik an der öffentlichen Besitzmenge als Hauptkritikpunkt der Sicherheitsbehörden weder neu noch verwunderlich.
Was jedoch überrascht, ist ein offenes Bedauern des Umstands, dass vor dem CanG Inkrafttreten häufig schon Indizien wie Geruchswahrnehmungen für polizeiliche Maßnahmen oder schwerwiegendere Anklagen genutzt wurden. Das Innenministerium Baden-Württemberg schrieb zur 25g Besitzmenge im öffentlichen Raum:
“Bis zum 31. März 2024 war eine Person, die mit einer derartigen Menge Cannabis angetroffen wurde, allein aufgrund der Menge häufig des Handels verdächtigt worden”.
Die hier angesprochene Situation beschreibt die Ungerechtigkeit im Umgang mit Cannabis wie auch verbotenen Rauschmitteln allgemein. Besitzdelikte wurden je nach Auffindesituation schnell zu Handelsdelikten hochgestuft, wenn bereits wenige Indizien vorlagen. Indizien ohne stichfeste Beweise reichen doch nicht aus für eine Verurteilung wegen Handels? In der strafrechtlichen Praxis ist dies sehr wohl möglich und gängig.
Der Bundesgerichtshof (BGH) traf dazu über die Jahre verschiedene Feststellungen, die auf die Feinabgrenzung der Indizien nach Aussagekraft als Grundlage für eine Verurteilung wegen Handels eingehen. Möglich ist es aber nach wie vor, auch wenn der Auslegungsspielraum von Strafgerichten hier über die Jahre feinjustiert wurde.
Auch beim Stichwort Anfangsverdacht wird die Situation vor Entkriminalisierung bedauert, da man ja nun nicht mehr bei Vorliegen von bspw. Geruchswahrnehmungen hierüber alleine polizeiliche Maßnahmen rechtfertigen könne. Sei es der Geruch von frischen Pflanzen im Treppenhaus oder Cannabisgeruch von einer Person ausgehend, weil jemand etwas schlecht verpackt bei sich trägt.
Trotz aller aus Sicht des Innenministeriums nachteiligen Veränderungen, halten sie fest, dass die Polizei mit diesen vermeintlichen Einschränkungen bei den Sicherstellungen von bis zu Großmengen hier keine rückläufigen Veränderungen wahrnimmt. Dies wird jedoch nicht als Beweis gewürdigt, dass es trotz CanG möglich ist, gezielt gegen organisierte Kriminalität und Handelsstrukturen vorzugehen.
Mit Hinblick auf die Ermittlungsbefugnisse nach StPO machten die Länder von Beginn des Gesetzgebungsverfahrens an klar, dass eine Einschränkung einzelner Maßnahmen wie Telekommunikationsüberwachung, Akustische Überwachung von Räumen etc. abgelehnt wird. Aktuell dürfen bestimmte StPO Maßnahmen nur bei schweren Taten, wie auch im KCanG und MedCanG definiert, eingesetzt werden und nicht mehr pauschal auch bei geringfügigen Vergehen. Dazu bekannte sich die Bundesregierung.
Anti Cannabis Kurs mit Blick auf Landtagswahl in Baden-Württemberg 2026
Mit Blick auf die Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg sollten sich Parteien genau überlegen, welchen Kurs zu Cannabis sie in ihren dazu relevanten Landesministerien einschlagen möchten. Im Falle des Innenministeriums zeigt sich klar, welch ein Zeitgeist dort aktuell vorherrscht.
Solche Positionen werden im Wahlkampf nicht vergessen sein, insofern baut meine Hoffnung auf B90/Grüne im Ländle, auch wenn leider ein konservativer, distanzierter und eher ablehnender Kurs zu Cannabis an den Tag gelegt wurde, als es darauf ankam. Eine faktenorientierte Debatte um Cannabis unter Wahrung der Ergebnisse des EKOCAN Forschungsprojektes zur Cannabisgesetz Evaluation muss auf Bundes- wie auch Landesebene möglich sein, alles andere wird einem Thema, das Millionen Menschen in Deutschland betrifft, einfach nicht gerecht.
Der nächste EKOCAN Zwischenbericht wird im Frühjahr 2026 die Auswirkungen des Cannabisgesetzes auf die cannabisbezogene Kriminalität genauer ausgewertet darstellen, in diesem Zuge wird die Debatte um Cannabisgesetz Änderungen abseits Medizinalcannabis wieder entfachen. Die Rufe nach Cannabisgesetz Änderungen werden vorerst also nicht verhallen, es bleibt spannend.
Wie es dazu und zu vielen weiteren Themen rund um Cannabis und Politik weitergeht, erfährst du hier rolling-stoned.de und auf YouTube
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Als Legalizer bin ich seit über 2 Jahren intensiv aktiv für die Legalisierung von Cannabis. Aktiv eingebracht und den Gesetzgebungsprozess des CanG in allen Schritten begleitet, werde ich auch weiterhin auf allen Ebenen für die vollständige Legalisierung von Cannabis eintreten.
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